Im Blog findest du Beiträge zu kürzeren Touren und Overnightern, zu Ausrüstungsentscheidungen oder zu Themen wie Angst oder mentale Vorbereitung.
Mit einem kaum zu beschreibenden, sanften Geräusch fällt ein Stück Schnee von einem Ast. Die Luft ist kalt und klar, die Sonne geht erst gerade auf. Ich stehe in meiner Daunenjacke, der langen Unterwäsche und den Schneeschuhen im Winterwald und schaue auf mein Zelt zwischen den Bäumen. Das Zelt mit dem warmen Quilt, der dicken Isomatte, dem Kocher – diese Dinge ermöglichen mir als Mensch hier draussen das Überleben. Unter meinen Füssen: ein Meter Schnee oder mehr.
Dass ich das je erleben würde, hätte ich nicht gedacht. Aber manchmal kommt es anders, als man denkt. Nachdem Covid-19 unsere Europa-Radreise abrupt gestoppt hatte, freute ich mich auf den Schweizer Bergsommer. Ich stellte mir vor, wie ich viele Wochenenden draussen verbringen würde, mit dem Rucksack unterwegs auf Wanderwegen – ich hatte nämlich nach einem Jahr Radfahren genug von Strassen und Verkehr. Aber meine Gesundheit sagte: Nee. Eine Operation und etwas später ein verknackster Knöchel zwangen mich zur Ruhe
Als die Wander-Instagram-Welt und die Wander-Magazine im September das „Ende der Wandersaison“ priesen und die letzten schönen Touren für den Herbst vorschlugen, wurde ich trotzig. Die Wandersaison konnte nicht vorbei sein, nicht für mich, ich war doch erst gerade wieder hergestellt. Dann würde ich halt im Winter zelten lernen!
Ich entschloss mich zu einem warmen Quilt (bis -17 Grad) und einer Isomatte mit R-Wert 7. Ausserdem rang ich mich endlich dazu, ein kleines Zelt zu kaufen. Einige Jahre hatte ich jetzt das Vaude Lizard ausgeliehen, aber war nicht sehr happy damit. Nach langen Überlegungen und Beratungen durch Insta-Wander-Freund*innen entschloss ich mich für das Tarptent Notch.
Rasch die Nähte abgedichtet und schon stieg ich aus dem Postauto. Das Zelt hatte ich bislang nur auf der Terrasse aufgestellt. Als Jungfern-Wanderung für das Zelt sollte eine Wintertour im Jura dienen, genauer gesagt, im Clos du Doubs.
Diese Tour hatte nämlich eine besonders Bewandtnis: Hier stand ich im April 2014 mit meinem schweren Rucksack und kämpfte mich auf den Jurahügel. Ich hatte nur das Nötigste eingepackt, ich wusste doch, wie man packt und was man mitnimmt, aber der Rucksack zwang mich fast in die Knie. Als ich unter einem gestürzten Baumstamm durchklettern musste, kam ich kaum mehr hoch. Warum nur war dieser vermaledeite Rucksack so schwer!? Oben schneite es, die Wiesen waren von Nässe gesättigt, mit jedem Schritt sanken meine Wanderschuhe in die Erde. Mit dem Regen sickerte die Erkenntnis durch: Das wird eine schlimme Nacht. Schon am Nachmittag wird es dunkel und ich habe nur einen Biwaksack dabei. Die Entscheidung fiel: Offensichtlich war Wandern zu schwer für mich. Ich würde am Waldrand etwas kochen und essen und dann den letzten Bus zurück nach St. Ursanne nehmen und heimfahren. Ab jetzt würde ich Fahrrad fahren!
Einige Monate später flog ich mit dem Fahrrad nach Neuseeland und rollte dort Anna McNuff über den Weg. Die englische Abenteurerin rannte den Te Araroa Trail (3000 km über beide Inseln) und als ich mir auf der Webseite ihre Ausrüstung ansah, merkte ich: Wandern war nicht zu schwer für mich - aber meine alte Ausrüstung aus Pfadfinderinnen-Zeiten war zu schwer! Ich stürzte ins rabbit hole Ultralight Hiking...
Nun stand ich also wieder hier. Das Wetter Anfang Januar war noch kälter als damals im April. Im Tal lag Schnee, also würde auf der Höhe noch mehr liegen. Aber ich war zuversichtlich. Ich hatte zwar bislang nur zwei Nächte im Schnee verbracht - eine in einem Iglu und die andere drei Nächte zuvor, an Silvester. Langsam stieg ich bergan und suchte mir einen ebenen Flecken, trat den Schnee zusammen und stellte auf. Später sass ich, umgezogen und in meiner warmen Daunenjacke im Quilt, hielt eine Tasse warmen Tees in der Hand und dachte an mein jüngeres Ich. Das hier ist für dich, sagte ich zu ihr. Du hast damals die richtige Entscheidung getroffen. Und nun bist du wieder hier, sechs Jahre später, und wirst eine warme Nacht mitten im Winterwald verbringen.