Der Cape Wrath Trail ist eigentlich keine vorbestimmte Strecke - der Name "trail" insofern falsch. Als "Cape Wrath Trail" gilt jede Variante, die von Fort William ans Cape Wrath führt. Allerdings gibt es mittlerweile viele Routenvorschläge und einige Wanderbücher dazu - ergo hat sich eine Art Hauptroute herauskristallisiert. Die Distanz beträgt in der Regel um die 400 km, es gibt keine Markierungen und etliche Abschnitte sind weglos. Deshalb und weil man meist ohne Handyempfang im schwer zugänglichen Gelände bei potenziell sehr schlechtem Wetter unterwegs ist, gilt der CWT als "toughtest trail in the UK".
Nachfolgend erwarten dich Einblicke in die drei Abschnitte des Cape Wrath Trails: in Form von kurzen Filmen, Fotos und dem Versuch einer Beschreibung. Anschliessend findest du verschiedene Informationen zum Trail und den Hinweis auf drei Blogbeiträge zu verschiedenen CWT-relevanten Themen.
Als ich vor der Abfahrt der Fähre zum Trailhead auf der anderen Seite des Lochs (schottisch für: See) im Outdoorladen in Fort William noch einige Outdoormahlzeiten kaufe, habe ich pre trail jibbers wie nie zuvor. Ich bin nervös, besorgt, ängstlich, wird es gut kommen, ist der Cape Wrath Trail eine Nummer zu gross für mich, habe ich hinsichtlich Ausrüstung die richtigen Erfahrungen getroffen - die Gedanken rasen in meinem Kopf. Der Verkäufer vom Typ Bergsteiger scannt meinen Einkauf und fragt: Wohin gehts? Cape Wrath, murmle ich und fummle meine Karte ans Bezahlgerät. Nervös? fragt er. Ich nicke stumm und ich sehe den Betrag nur noch verschwommen. Ach, das schaffst du, sagt er, das wird wundervoll.
Als ich die ersten Kilometer auf der Strasse dem Loch entlang unter die Füsse nehme, sinkt die Erkenntnis langsam in meinen Körper ein: Ein Trail ist ein Trail ist ein Trail. Es geht darum, Schritt für Schritt die Herausforderungen des eigenen Körpers, Geists, des Trails und des Wetters anzunehmen und anzugehen, sinnvolle Entscheidungen zu treffen und Freude zu haben.
In der ersten Nacht fliegt mir das Zelt kurz um die Ohren, als sich ein Hering in Regen und Wind löst. Nach einem kurzen, hastigen Ausflug nach draussen, um den wieder festzumachen, sitze ich wach im Dunkeln, lausche dem Flattern der Plane, dem prasselnden Regen und frage mich: Werden mein Zelt und ich diesen Trail schaffen?
Bothy sei Dank!
Nach einem Tag wandern im Regen - komplett nasse Schuhe, der Trail ein Bach - komme ich in einem Bothy unter, einer Schutzhütte. Es regnet die ganze Nacht. Am Morgen besucht uns der Estate Manager (der für das Bothy zuständig ist) und erklärt uns, wo wir nach dem Pass laufen sollen, denn: If you try to cross the river here, sein rissiger, wettergegerbter Finger deutet auf die Karte, you will die. Ich ziehe hinaus in den Regen, überquere den ersten reissenden Bach über eine wackelige Brücke und treffe drüben auf einen einheimischen Wanderer. Er ziehe heute nicht weiter, sagt er, am Nachmittag solle der Regen ja aufhören und morgen seien die Bäche schon wieder zahm. Er habe keinen Bock auf a day full of misery. Die Worte hallen in mir nach, als ich weiterlaufe und ich beschliesse, zurück zum Bothy zu gehen. Ich habe genug Zeit und muss nicht als Highland Newbie am dritten Tag schon Risiken eingehen. Genug Zeit ist ein Sicherheitsfaktor, begreife ich.
Die nächsten Tage sind warm - die Einheimischen reden von einer Hitzewelle, obwohl die Temperaturen nicht über 20 Grad klettern. Dennoch schwitze ich ziemlich, denn durch das viele nasse Gelände ist die Luftfeuchtigkeit hoch.
Rasch erworbene Pflanzenkenntnis
Ich komme gut voran, habe ständig nasse Füsse und trockne sie in den Pausen an der frischen Luft. Im Gelände bleibe ich immer wieder stehen und schaue mich um, die grünlich-bräunlichen Hügel, die sich hinauf in den blauen Himmel schwingen, die mäandernden Flüsse, das goldene Licht am Morgen, die Hirsche, die wenig scheu an mir vorbeiziehen, die unglaublich blauen Lochs, die sprudelnden Bäche, in die ich meine Filterflasche halte, der Weg, der sich mal als Single trail, mal als breiter Feldweg gibt und manchmal gar nicht da ist: Sorgsam suche ich mir dann einen Weg durchs sumpfige und steinige Gelände selbst.
Als ich eine komplett sumpfige Talsohle durchqueren muss, das Wasser stetig bis zu den Knöcheln, manchmal höher, und die andere Talseite einfach nicht näherkommen will, lerne ich rasch, die Pflanzen zu unterscheiden: Welche Art von niedrigen Büschen und Moos bedeutet, dass ich dort guten Stand habe, vielleicht sogar einige Schritt am Trockenen gehen kann, welche Farben, Pflanzen- und Blattformen bedeuten hingegen, dass ich tief einsinken werde? Ich teste mit dem Wanderstock und versenke ihn ohne Widerstand bis zum Griff. Manche Wasserlöcher schlängeln sich wie Kanäle durch den Sumpf, denen ich entlang gehen muss, um deren Ende zu finden oder eine Stelle, an der ich gut hinüberspringen kann.
Windschutz bleibt Wunschtraum
Ich bade in einem eiskalten Becken, das der Fluss ins Land gegraben hat, trinke Kaffee an seinem Ufer und bemerke dabei, dass ich meine Filterflasche verloren habe. Ohne Rucksack haste ich die letzten paar Hundert Meter zurück, klettere durch die Wand am Flussufer, mit grosser Freude und überraschender Behendigkeit und finde ihn tatsächlich - die Erleichterung ist gross.
Gegen Abend suche ich nach einem trockenen Plätzchen - Windschutz suche ich vergeblich und vertraue auf meine Fertigkeit beim Abspannen und auf das Material. Ich wasche mich an Bächen und Flüsschen, verzehre mein Abendessen mit grandiosen Ausblicken auf Täler, Hügel, Bäche oder in die Weiten und liege dann im noch geöffneten Zelt und schaue in den blauen Himmel. Die Sonne geht so spät unter, dass ich stets bei vollem Tageslicht einschlafe.
Den Fluss abends noch überqueren
Das Wetter wird wieder kühler und regnerischer, ich trage Handschuhe und mache nur noch kurze Pausen, um Snacks aus der Aussentasche des Rucksacks zu holen. An einem Abend beschliesse ich, den Fluss noch zu überqueren und dies nicht auf den nächsten Morgen zu verschieben: Dass der Regen harmlos wirkende Bäche in hüfthohe, tosende Ungetüme verwandeln kann, habe ich ja schon erfahren. Drüben finde ich nur mit Mühe einen Platz und am Ende habe ich einen grossen Grashügel in meinem Vorzelt, der mein Innenzelt etwas schmälert. Aber ich kann trotzdem schlafen, die Müdigkeit überwältigt mich jeden Abend mit ihrer schweren Hand.
Unter der Forcan Ridge
Am nächsten Morgen zeigt sich erst noch blauer Himmel, dann zieht es zu, nieselt, der Wind treibt Nebelschwaden hin und her, so dass ich den Pass, auf den ich will, nur zwischendurch sehe. Das GPS leitet mich zuverlässig durch den weglosen Aufstieg, die Füsse nass, die Hände noch trocken in den Handschuhen, setze ich Schritt für Schritt sicher in den grasigen, steilen Anstieg. Oben zieht es noch stärker, nur mit Mühe kann ich in den kurzen Phasen zwischen den sich wie Vorhänge bauschenden Nebeln die rostigen Zaunpfosten erkennen, die mich zum Beginn der zerfallenden Steinmauer führen, die mich durch die Flanke unterhalb der Forcan Ridge leiten. Die Steine sind glitschig vor Nässe und ich mahne mich zur Sorgfalt, hier verunfallen ist wirklich keine gute Idee. Es regnet stärker, als ich auf einen kleinen Sattel gelange und den steinigen Abstieg auf einen niedrigeren Sattel angehe. Ein Mann kommt mir entgegen, die Hände in den Taschen fast gemütlich bergan steigend. Wir schreien uns im Wind und im Regen an, woher, wohin. Er will auf die Forcan Ridge, sein Zelt stehe unten im Tal. Ich will zum Camping nach Shiel Bridge und duschen, antworte ich etwas patzig und denke: Alter, das ist doch kein Wetter für in die Berge, als Thruhikerin bin ich auf einer Mission, aber einfach so bissl raus jetzt?! Nee, sicher nicht.
Camping in Sicht
Immer noch innerlich den Kopf schüttelnd, gehe ich einen ungemütlichen Abstieg durch die wassergesättigte Flanke hinunter an den Bach an. Der Führer sagt dazu: an unpleasant path even in the unlikely event you manage to keep it. Wirklich ein Weg ist es nicht, ab und zu gibt es Löcher, die wohl Fussstapfen sind, zweimal rutsche ich aus, meine Schuhe versinken bei jedem Schritt. Es scheint ewig zu dauern, dann ebenso ewig, dem Bach entlang das Tal vorzulaufen. Nach einer Bachüberquerung gibt es einen groben Feldweg, dem ich leichter folgen kann und irgendwann stehe ich am Camping, der Regen hat aufgehört, ich checke elektronisch ein, schmeisse die Kleidung in die Waschmaschine, stehe lange unter der warmen Dusche, ziehe meine Regenklamotten an und liege im Zelt, bis ich die Wäsche in den Tumbler schmeissen und schliesslich wieder anziehen kann. Klassischer hiker laundry day.
Am Abend unterhalte ich mich mit einer Hikerin, die ich im Corryhully Bothy getroffen habe und erzähle ihr von dem Mann, der in Regen und Wind auf die Forcan Ridge wollte. Monroers, lächelt sie etwas abschätzig und schlage mir innerlich an die Stirn. In Schottland sind nicht nur Thruhiker*innen auf einer Mission, sondern auch jene Menschen, die alle 282 Monroes, wie Berge ab 3000 Fuss (914m) bezeichnet werden, besteigen wollen. Sozusagen Volkssport.
Am Nachmittag sitze ich gemütlich im Quilt im Zelt, trinke Kaffee und schaue in die Hügel. Ich lasse mir diesen ersten Abschnitt noch einmal vor dem inneren Auge durchziehen, die nassen Füsse, das herumflatternde Zelt, die Entscheidung gegen a day full of misery, die Landschaft, ach, die Landschaft. Ich bin in Shiel Bridge angekommen, denke ich, hier wartet mein Resupply Paket in der noch geschlossenen Reception, ich habe schon viel erlebt, viel überstanden und es ist gut gegangen. Der zweite Abschnitt kann kommen!
Nach einem gemütlichen Morgen auf dem Camping in Shiel bridge packe ich meine Sachen zusammen, lege die überflüssigen Snacks aus meiner Resupply-Paket in die Hiker box in der Küche und gehe die kurze Strecke zum Pit Stop Cafe vorne am Loch. Dort gibts erstmal loaded fries und einen knackigen Salat - zu den Falls of Glomach sind es nur 13 Kilometer auf einem public footpath, das habe ich mir für den Nachmittag vorgenommen. Der schmale Pfad diesen Wasserfällen entlang macht nicht nur mir etwas Sorgen, fast alle Wandernden haben sich gestern auf dem Camping darüber unterhalten. Deshalb will ich davor übernachten und den Abstieg gleich am Morgen früh angehen.
Mir kommen noch einige Tageswandernde entgegen, dann bin ich allein. Meine Augen trinken die Landschaft und mein Herz quillt über - wie habe ich mich nach diesen Farben, diesen Formen, dieser Weite gesehnt - nun hier zu stehen ist fast zu viel.
Der Abstieg am nächsten Morgen verläuft problemlos - dennoch verstehe ich, dass bei Schnee, Eis, Wind oder Regen die Warnung davor durchaus berechtigt ist. Danach entlang eines Lochs, das die Farbe des Himmels wiederzugeben scheint, gesäumt von gelb blühendem Ginster; für einmal ist der Weg so gut, dass ich mich umsehen und zugleich laufen kann.
Ab in die Boghölle
Es geht ein kühler Wind und so bin ich froh um das Bothy Maol-bhuide, das frisch gestrichen schon von Weitem leuchtet. Darin treffe ich zwei Einheimische, die auch hier kurz den Windschatten für "a brew" nutzen. Nach einer Flussüberquerung folge ich einem Tierpfad, statt den Hügel anzusteigen und ihn zu konturieren und lande in der Boghölle. Viele kleine Höhenmeter-Unterschiede durch Moor-Inseln und Torfabbruchkanten, tückische Wasserlöcher, Umwege und kräftezehrende, langsame Schritte saugen mich innert Kürze leer. Als ich eine Person weiter oben am Hügel entdecke, bemerke ich meinen Fehler und es kostet mich viel Zeit und Energie, zurück auf den Weg zu gelangen. Bald stelle ich mein Zelt im warmen Abendlicht auf und bin froh, mich erstmal hinlegen zu können.
Am nächsten Vormittag begegnet mir das einzige Wegschild auf dem Cape Wrath Trail, es weist darauf hin, dass der Weg entlang einer Reihe rostiger Zaunpfosten steil den Hügel an verläuft. Ich bin guten Mutes, habe viel geschlafen und freue mich auf den Pub in Strathcarron. Dort bleibe ich lange sitzen: Handyempfang, gemütliche Pub-Atmosphäre, ein Burger und eine Toilette - a hiker's needs really are basic.
Danach ziehe ich durch - ich will mein Zelt am Loch Coire na Fionnaraich aufstellen. Staunend sitze ich mit meinem Abendessen im Zelt und schaue hinaus auf die braune Hügelflanke ennet dem Wasser, mit einem Bewuchs wie abgeschabter Samt.
Sechs Kilometer Hindernislauf
Am nächsten Tag ist das Wetter weiterhin schön, aber ein scharfer, kalter Wind geht. Bei der abgeschlossenen Linghütte finde ich immerhin Windschatten für eine längere Pause und koche mir einen Tee. Ansonsten laufe ich alles am Stück - auch als ich nach einigen Kilometern public footpath zum Loch Coire Mhic Fhear chair feststelle, dass ich dort nicht zelten kann; es ist zu windig, zu steinig, zu wenig einladend. Ich fühle mich auch noch fit - weiss allerdings noch nicht, dass der mit Abstand anstrengendste weglose Abschnitt genau vor mir liegt. Für die sechs Kilometer benötige ich drei Stunden. Der Hügelflanke entlang arbeite ich mich zwischen grossen Felsen, über eingewachsene Felsstürze, praktisch senkrecht verlaufende Bäche, ausgedehnte nasse Stellen und Büschen hindurch, faktisch ein einziger Hindernislauf. Weil ich beide Stöcke benötige, bin ich etwas nachlässig beim Kurs korrigieren und lande prompt auf der falschen Höhenlinie, die mich in ein Seitental entführt. Kurz erwäge ich, hier die Nacht zu verbringen, aber die Suche nach einem Plätzchen wäre enorm aufwändig - diese Energie stecke ich lieber ins Weiterlaufen. Ich nehme ergeben den Umweg auf die richtige 400m-Höhenlinie auf mich und sehe nun auch den niedrigen Pass am Horizont. Ich bin erschöpft und bin gleichzeitig hochtourig unterwegs, was die Kräfte noch stärker raubt und ich muss enorm aufpassen, dass ich keinen Misstritt mache. In dem Moment zapfe ich einen Reservetank an, den ich mir auf dem GR1 in Spanien erschlossen habe. Als ich vor dem Pass länger keinen Platz zum Zelten finde, beobachte ich eine brodelnde Aggressivität in mir und weiss: Jetzt muss ich rasch aufstellen und endlich Pause machen. Seit der Linghütte sind sechs Stunden vergangen und das war praktisch die Mittagspause. Zum Glück findet mein geübtes Auge doch noch einen schmalen Streifen - gerade passend für meine Liegefläche.
Community
Der nächste Tag bringt nach sechs Kilometern einen Laden und einen Campingplatz in Kinlochewe. Hier lerne ich Hetty, Grant und Jessie mit seiner Hündin kennen - wir bonden sofort und erkennen uns an Zelten, Rucksäcken und attitude als dem Dunstkreis der amerikanischen Wanderkultur zugehörend. Wir verbringen einen schönen Abend und am nächsten Morgen ein gemütliches Frühstück zusammen.
Hettys und Grants Zelte sehe ich am nächsten Abend wieder und am Folgetag warte ich kurz vor dem Abstieg nach Inverlael auf sie, so dass wir uns ein Taxi nach Ullapool teilen können. Auf dem Zeltplatz schlagen wir unser Lager auf und gehen indisch essen. Die beiden werden am nächsten Tag nach Hause fahren, ich zwei Ruhetage einlegen. Ich brauchte neue Socken, kaufe im Supermarkt für den nächsten Abschnitt ein, gehe Tee trinken und Kuchen essen, wasche meine Wäsche und dusche und besorge mir ein neues Notizbuch.
Safe space Zelten in Schottland
Was mich stark beschäftigt und berührt: Ich hatte kein Hotelzimmer gefunden in Ullapool und erwartet, dass mich das enttäuschen würde. Es war mir aber komplett gleichgültig. Beim Nachdenken wurde mir bewusst, dass ich in der Vergangenheit in Ländern unterwegs war, in denen wildes Zelten verboten ist. Entsprechend hatte ich die Abende immer mit einer leichten Restanspannung verbracht, hatte faktisch immer ein Ohr und ein Auge in der Umgebung gehabt. Auch die Nächte hatte eine erhöhte Wachsamkeit geprägt. Da brauchte ich einmal die Woche ein Zimmer, um mich legal zu fühlen und wirklich entspannen zu können. In Schottland ist Zelten fast überall erlaubt, ich hatte oft in Sichtweite vom Trail gecampt und mich immer sicher gefühlt. So hatte ich mich jeden Abend wirklich entspannen können, hatte richtig gut geschlafen. Ich fühle mich trotz der grossen körperlichen Anstrengung geistig gut erholt, so dass ich kein Hotelzimmer benötigte.
Glücklicherweise entscheide ich mich für das Taxi zurück nach Inverlael, statt wie viele direkt von Ullapool loszuwandern. Zwar mühe ich mich danach fünf Kilometer durch einen abgeschlagenen, schattenfreien Nutzwald hoch ins Bogland - lande dann aber im Glen Douchary, das mit seinem tief in die Landschaft eingeschnittenen Bach, den blauen Pools, den hellen Birken, dem grünen Gras wie eine Oase im bräunlich, gelblich, trockenen Umland liegt. Ich fasse den Entschluss, jeden Tag zu baden und finde dafür bald einen flachen warmen Felsen, der ins Wasser ragt, so dass ich meine Füsse nicht einmal mit Kies plagen muss.
Weglos gehen und leben
Im Knockdamph Bothy treffe ich auf Maribeth und wir sinken tief in eine berührende Diskussion über wegloses Gehen im Gelände und im Leben, den Vorteil gemachter Wege, das rasche Vorankommen, aber auch bisweilen das Gefühl von Enge, hingegen die Freiheit im weglosen Gelände (oder Leben) mit entsprechender Anstrengung aufgrund fehlender vorgespurter Pfade. Als ich weiterziehe, fällt mir auf, dass wir keine einzige private Information ausgetauscht haben und uns über das uns offensichtlich beide beschäftigende Thema dennoch nahe gekommen sind.
Am Abend stelle ich mein Zelt in einem Zeckenhotspot auf und mag es kaum mehr verlassen. Beim Schoolhouse Bothy treffe ich Maribeth wieder und auch George, den Südengländer, der zum zweiten Mal auf dem CWT ist. Das letzte Mal war das Wetter so schlecht, dass er aufgab - nun plagen hin hingegen Blasen.
Auch ich habe Blasen an diesem Abend - fast 30 km geistloses Gehen auf breiten Kiesstrassen fordern ihren Tribut. Missmutig stelle ich am Loch Ailsh auf - und merke zum Glück doch noch, wie mystisch schön es dort an dem Abend ist.
In der Landschaft angekommen
Als sich die Wege trennen, die Hauptroute nach links nach Inchnadamph führt und ich mich nach rechts wende, um östlich des Ben More Assynt Massivs durchzuwandern, durchfliesst mich das Gefühl, dass ich in der Landschaft angekommen bin. Ich habe die Erfahrung, die Ausrüstung, das Wissen und den Willen, mich auf die lange, abgelegene Strecke mit weglosen Abschnitten zu begeben und geniesse jeden Schritt, lasse meine Augen über die Ebene wandern, von der ich ja weiss, wie unendlich anstrengend es ist, voranzukommen. Am Nachmittag finde ich einen flachen, trockenen Spot an einem Loch und verbringe dort einfach einige Stunden.
Weglos geht es weiter, in einer sehr unübersichtlichen Landschaft, so dass ich öfters überraschend an Wasserlöchern anstehe - und mich wundere, dass ich kleiner Mensch hier trotzdem irgendwie vorankomme. Am Glencoul und am Glendhu Bothy vorbei ziehe ich in den Abend hinein, Schritt um Schritt, die Sonne gleisst auf mich hinunter, die Reflektion auf dem Wasser blendet mich durch die Sonnenbrille hindurch, der Schweiss rinnt aus allen Poren. Mein Zelt stelle ich neben einem Kraftwerk am Wegrand auf - ich habe keine Kraft mehr, weiterzusuchen.
Gutes Wetter, Wasser schwindet
Das ständig gute Wetter macht zwar das Wandern zu einem Geschenk - gleichzeitig vertrocknen die kleinen Wasserläufe und die Lochs werden algig. Plötzlich muss ich mir um Wasser Gedanken machen, Umwege gehen und mehr mittragen. Vom Ben Dreavie aus sehe ich über eine weite Ebene mit mehreren kleinen Lochs bis zum Meer. Sorgsam suche ich mir meinen Weg und stosse an der im Führer versprochenen Koordinate auf Ansätze eines Weges. Die Sonne ist gnadenlos, leuchtet die Landschaft aus und ich krieche unter einen leicht überhängenden Felsen, um wenigstens den Kopf während einer Pause in den Schatten zu stecken.
Beim Abstieg ins Tal des Loch Stack überwältigt mich die Aussicht auf die felsigen Berge auf der anderen Seite, sie wirken auf mich wie eine Kulisse aus einem Film, in den man hineinkriechen möchte. Und ich bin da, denke ich, ich bin da. Das sind meine Augen, die das sehen, meine Füsse, die hier gehen.
Ziel: Jeden Tag baden
Ich finde ein kleines Loch mit wundervollem blauem Wasser und liege lange in dem knietiefen Blau. Danach treffe ich George und beim Reden verpassen wir die Abzweigung. Während er seinen Füssen eine Pause gönnt, kämpfe ich mit zwei unendlich lang scheinenden Lochs entlang, nirgends kann man gut Pause machen, geschweige denn ein Zelt aufstellen - wieder zapfe ich den Reservetank an. In Rhiconich überlasse ich den einzigen Zeltspot George und seinen Blasen und finde neben der Strasse nach dem Dorf einen kleinen Sattel mit schöner Aussicht aufs Loch. Von der Strasse sieht man mich direkt, vom Dorf auch und ich fühle mich trotzdem sicher: Das ist Schottland.
Nach einem herausfordernden Resupply in einem winzigen Dorfladen - dessen Besitzer mich mit dem Angebot einer Tasse Kaffee überrascht - nehme ich die letzten dreissig Kilometer unter die Füsse. Bis auf die letzten anderthalb Kilometer alles weglos, dafür rechne ich zwei Tage. Denn ich will am Sandwood Bay zelten, das ist so etwas wie eine Tradition auf dem Cape Wrath Trail. Als ich dort ankomme und quer über den Strand mit der markanten Felsnadel stapfe, um erstmal ins eiskalte Wasser zu springen, sehe ich in den Dünen und an den Hängen rund um die Bay etliche kleine Zelte.
Die Nacht am Sandwood Bay
Es ist unmöglich, einen windgeschützten Ort zu finden und so schicke ich mich in eine weitere lärmige Nacht mit Ohropax. Ungläubig zippe ich immer wieder den Reissverschluss auf und schaue auf die im Abendlicht daliegende Bay. Ich bin tatsächlich an der Sandwood Bay, denke ich immer wieder, morgen bin ich am Cape Wrath. So richtig sickert es nicht ein.
Am letzten Tag begrüsst mich Schottland noch einmal mit bedecktem Himmel, kaltem Wind und ich grabe tief im Rucksack nach meinen Handschuhen. Am Straithchalleach Bothy mache ich eine kurze Pause, dann durchwandere ich die dumpffarbigen Ebenen, drehe mich im Kreis und denke, zum Glück habe ich ein GPS, alles sieht irgendwie ähnlich aus. Langsam setze ich meine Schritte, sinke ein, knicke weg, die Feuchtigkeit dringt nach und nach in die Schuhe. Heute ist es zu Ende, sage ich mir immer wieder, aber es ist ein schräger Gedanke. Ich fühle mich selbst gleichmütig, fast gleichgültig, was ist nur mit meinen Gefühlen los? Die heben sich gegenseitig auf, vermute ich, wie an jedem letzten Tag eines Trails. Erleichterung und Trauer, Dankbarkeit und die Freude auf eine Dusche, Gemüse und keine nassen Füsse mehr, Stolz aufs Durchhalten, überwältigendes Staunen, dass es eine solche Gegend gibt und ich sie durchwandern und erleben durfte.
Das Ende naht
Cape Wrath ist Truppenübungsgelände und wenn rote Fahnen hängen, darf man den Zaun nicht übersteigen. Aber alles gut, alle Wandernden haben sich im Internet informiert. Drüben sieht das Gelände nicht anders aus, aber in runden, seltsam vegetationslosen Vertiefungen vermutet man plötzlich Bombenkrater.
Als die Strasse zum Cape Wrath als schmale Linie sichtbar wird, verlangsamen sich meine Schritte, nun sind sie wirklich gezählt. Ich trete auf den groben Kies und erschrecke, als sich hinter einer Kurve der Leuchtturm weiss in den Himmel schiebt. Ich laufe auf ihn zu, George ist da und wir beglückwünschen uns und ich sage, leicht panisch: Der Leuchtturm ist eingezäunt. Steig doch drüber, sagt George, sieht doch niemand. Der kalte Wind hat alle Menschen ins Cafe am Cape verschlagen. So lege ich meine Hand an die weisse Wand und die Farbe fühlt sich fein, fast weich an. Nach Glätte. Und nach einem Ende.
Der Cape Wrath Trail führt rund 400 km durch die westlichen Highlands. Im Prinzip kann man sich komplett selbst eine Tour zusammenstellen - es gibt keine markierten Routen und viel wegloses Gelände. Ich habe mich an die Route von Iain Harper (Walking the Cape Wrath Trail, Cicerone-Verlag) gehalten. Dank des guten Wetters konnte ich die anstrengenderen Alternativen machen.
Man läuft auf Asphaltstrassen, Kieswegen, 4x4 Tracks, public footpaths und durch Gelände ohne Weg. Es ist schwierig, den Anteil an weglosem Gelände zu schätzen, aber ich würde sagen - in meinem Fall - total wohl ca. 70 km, wobei es unterschiedliche Anstrengungsklassen von weglos gibt. Gleichzeitig bietet das weglose Gelände auch viel Zufriedenheit und Freiheit.
Fast jeden Tag muss man Gewässer überqueren, die bei Regen rasch anschwellen und dann innert 8-12 Stunden wieder abschwellen. Der Trail führt durch bisweilen alpin anmutendes Gelände mit ausgesetzten steinigen Stellen, steilen An- und Abstiegen durch sumpfiges Gebiet und oft wegen des Wetters schlechte Sicht. Bei gutem Wetter bietet nichts Schatten.

Bei der Planung und Vorbereitung tat ich mich schwer vorzustellen, mit wie vielen Kilometern ich denn pro Tag würde rechnen können. Das war insbesondere wichtig für die Planung des Resupplys. Hier gebe ich meine persönliche Erfahrung und einige Gedanken wieder.
Ich bin 20 Tage à durchschnittlich 20 km und 600 hm gelaufen und habe dafür 6h20 gebraucht. Das ist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 3.2 km/h. Dafür war ich an den meisten Tagen 8 Stunden unterwegs. Ich hatte nur wenige Regentage, oft war es warm, so dass ich ausgedehnte Pausen machen und baden konnte. Ich hatte insgesamt 4 Wochen Zeit in Schottland und wollte die Landschaft in mich aufnehmen - ergo wollte ich nicht durchrasen. Sicher kann man auch regelmässig 25-30 km pro Tag gehen - das hängt vom Ziel, der physischen und psychischen Fitness, dem Wetter, und der Wegbeschaffenheit ab.
Zu bedenken ist, dass verschiedene Aspekte die Geschwindigkeit massiv drosseln können: Regen führt zu hohen Wasserpegeln an den Flüssen, was sie gefährlich macht. Das Furten braucht Zeit - zum Beispiel, um eine gute Stelle zu finden. Gefährliche Bäche sollte man sicher nie unter Zeitdruck durchqueren. Regen macht das ohnehin nasse Bogland noch anstrengender, es ist dann ein bisschen wie Tiefschnee. Auch hier braucht es manchmal Umwege, weil man sonst zu tief einsinkt. Es ist durchaus möglich, bis zur Hüfte in einem Wasserloch zu verschwinden. Nebel macht die Orientierung schwierig, so dass man unter Umständen fast jeden Schritt navigieren muss - auch das kostet Zeit. Wind und Kälte oder gar Schnee führen dazu, dass man in der windschutzarmen Gegend kaum Pausen machen kann. Die Bedingungen können so anstrengend sein, dass man mehr Ruhetage braucht, sich mehr auf die Bothies verlassen muss. Bei schlechtem Wetter hätte ich mich für die Varianten mit weniger weglosem Anteil entschieden - da kommt man besser vorwärts und gefährdet sich weniger.
Sicherheit hat im schottischen Hochland vor allem mit Wetter, Navigation und dem Schutz vor Verletzungen zu tun. Obwohl es mittlerweile mehr Menschen auf dem CWT hat, kann man sich nicht darauf verlassen, dass jemand da ist, wenn man verunfallt. Insofern sind zwei unabhängige Navigationsgeräte/-hilfen sowie genügend Batteriespeicherplatz wichtig. Ein SOS-Knopf zum Anvisieren von Rettung ist dabei zentral. Dazu kommt eine gut ausgestattete Reiseapotheke, so dass man auch mal 24h auf Rettung warten kann. Zur Sicherheit gehört auch der Schutz vor Wind, Regen und Kälte, so dass man sich vor Unterkühlung schützen kann. Schlafsack und Ersatzkleidung müssen unter allen Umständen trocken bleiben. Ich habe jeweils einen Tag mehr Essen eingepackt als ich dachte, dass ich für einen Stretch benötigen würde. Manchmal hat sich die Vorbereitung auf den CWT mehr wie eine Expedition angefühlt als wie ein Hike.
Normalerweise gibt es in Schottland mehr Wasser, als man gebrauchen kann. Überall gurgeln Bäche und liegen Lochs und wenn man Durst verspürt, kann man jederzeit die Flasche füllen. Manchmal liegen die Bäche rund 1m unter der Oberfläche und sind nur durch einen schmalen Spalt im Gras sichtbar. Dann hört man sie erst, wenn man praktisch danebensteht. Ich habe alles Wasser gefiltert (mit dem Befree-Filter) oder direkt gekocht. Als es länger nicht mehr regnete, vertrockneten kleine Bäche und die Lochs waren voller Algen. Da ist man froh um ein Wasseraufbereitungssystem. In diesem Fall war ich auch froh, 2l mittragen zu können (Befree 1l sowie eine weitere Flasche).
Es gibt einige Hotels und Campingplätze am Trail. Die Hotels fand ich ziemlich teuer (150 Pfund pro Nacht), die Campingplätze preiswert (unter 20 Pfund pro Nacht).
Der Trail ist nicht markiert und bisweilen weglos. Man braucht ein Navigationsgerät, auf das man sich verlassen kann sowie ein Backup. Ich habe mich für ein GPS als Alltagsgerät und das Handy als Backup entschieden. Das hat gut funktioniert, gerade bei schlechter Sicht. Für das Handy benötigt man dann eine wasserdichte Hülle. Die Landschaft sieht oft sehr ähnlich aus, so ist es schwierig, visual clues als Orientierung zu nutzen. Die Einheimischen sind grundsätzlich mit Karte und Kompass unterwegs.
Zelten darf man in Schottland praktisch überall, solange es nicht als "privat" markiert ist. Der Untergrund hält die Heringe meist sehr gut. Oft ist es nicht leicht, einen trockenen Platz zu finden und man muss etwas suchen. Windschutz kann man in der Regel vergessen, ausser man zeltet direkt an einem Gebäude. Ich habe diese Freiheit enorm genossen - im Unterschied zum Wildzelten im Rest von Europa ist es viel friedlicher und entspannender, wenn egal ist, wer einen sieht. Denn es ist schwierig, sich in dieser Landschaft zu verstecken. Es ist so erholsam, sich abends einfach auf die Pflichten und Betätigungen zu konzentrieren und nicht immer mit halbem Ohr in die Umgebung lauschen zu müssen, ob da vielleicht jemand kommt, der Schwierigkeiten macht.
Bothies sind einfache Schutzhütten in den Highlands. Manche gehören zu der Mountain Bothy Association, andere sind vom Estate betrieben. Man darf alle nutzen - manchmal gibt es eine "honesty box" für Spenden. Es gilt first come first serve - gleichzeitig wird erwartet, dass bei schlechtem Wetter alle irgendwie Platz finden. Es ist in der Regel sinnvoll, ein Zelt mitzubringen, denn vielleicht hat man kein Platz im Bothy (zum Schlafen).
Geredet wird Englisch, der Akzent ist je nach Erfahrung gewöhnungsbedürftig. Ich habe die Einheimischen als leutselig und freundlich erlebt und es lohnt sich, jeweils einige Worte zu wechseln. Insbesondere über das Wetter und die Bedingungen in den Bergen wissen sie oft viel.
Theoretisch kann man den Cape Wrath Trail ganzjährig wandern. In den Sommermonaten Juni, Juli und August wird man jedoch von Mückenschwärmen heimgesucht, im Winter dürften eine Eisaxt und Spikes nicht fehlen. Ich war von Ende April bis Mitte Mai unterwegs, hatte noch keine Mücken, die Infrastruktur war verfügbar (Campings). Dennoch muss man auch hier mit Schnee rechnen.
Fort William ist mit dem Zug erreichbar, ich kann hier die Nachtfahrt mit dem Caledonian Sleeper empfehlen. Zum Trailhead fährt eine Fähre (nur sonntags nicht). Von Cape Wrath wegzukommen, ist etwas aufwändiger. Es sind 20km entlang einer groben Kiesstrasse zum Loch "Kyle of Durness", über den eine Fähre fährt (1-2x pro Tag). Minibusse fahren zwischen dem Kyle of Durness und dem Cape, 1-2x pro Tag. Sie wissen aber, dass es oft Wandernde hat und sagen, es kommen immer alle weg, aber manchmal muss man auf den nächsten Bus warten.
Da die meisten das Cape am frühen Nachmittag erreichen (weil traditionsgemäss am Sandwood Bay übernachtet wird), kann man 8km weiterlaufen und im Kearvaig Bothy übernachten. Danach sind es noch 12 km zur Fähre.
Nach der Fähre sind es ca. 4 km der Strasse entlang nach Durness, von dort fährt ein Minibus nach Inverness (es lohnt sich, den zu reservieren, er fährt nur einmal pro Tag). Aus meiner Sicht lohnt es sich, die Abreise nicht akribisch planen zu wollen und einige Tage Puffer zu haben. Kaervaig Bothy liegt sehr schön direkt am Strand. Durness hat einen Camping, liegt direkt oberhalb der Klippen und bietet mit Pub und Shop so ziemlich alles, was das Wanderherz nach Abschluss des Trails möchte.